Leserbrief an das Oberbayerische Volksblatt OVB und an den Münchner Merkur zu Dienstag, 13.II.2024, Titelseite (Seite 1: Foto mit Überschrift “Drei neue Stolpersteine”) und Rosenheimer Land (Seite 13: Zwei von Millionen – Stolpersteine am ehemaligen Haidholzener KZ-Außenlager erinnern an Nazi-Opfer) "Vorbildliche Sakrale Architektur in Haidholzen - Stephanskirchen bei Rosenheim"

 

Leserbrief an das Oberbayerische Volksblatt OVB und an den Münchner Merkur zu Dienstag, 13.II.2024, Titelseite (Seite 1: Foto mit Überschrift “Drei neue Stolpersteine”) und Rosenheimer Land (Seite 13: Zwei von Millionen – Stolpersteine am ehemaligen Haidholzener KZ-Außenlager erinnern an Nazi-Opfer)
von 
Dr. Stefan Geier, Haidholzen


Die Neuverlegung von drei weiteren Stolpersteinen des Künstlers Gunter DEMNIG in Haidholzen mit Dr. Thomas NOWOTNY von der Initiative für Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim (“Martin SABOZKI” und “Kusma MARTSCHENKO”) und Kolbermoor (“Mathias STICH”) zur Erinnerung an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland bringt die Erinnerungskultur in Oberbayern einen weiteren sehr wichtigen Schritt voran.

Zusammen mit den 2023 im Beisein von Charlotte KNOBLOCH an Rosenheimer Geschäftshäusern feierlich angebrachten Möbius Schleifen der Künstlerin Christiane G. HUBER zur Erinnerung an vertriebene jüdische Familien (“Familie FICHTMAN”, “Familie KOHN” und „Familie WESTHEIMER“) in Rosenheim und weiteren Stolpersteinen von Gunter DEMNIG und weiteren Möbius Bändern von Christiane G. HUBER in der Region ist nun eine sehr sinnvolle Gestaltung einer verantwortungsbewussten Erinnerungskultur verwurzelt worden.

In meinem Heimatort Haidholzen, Gemeinde Stephanskirchen, finden sich zwei weitere hervorragende und hohes Verantwortungsbewusstsein ausdrückende künstlerische Gestaltungen von Erinnerungskultur zum Holocaust und der NAZI-Barbarei, die ebenso sehr beachtenswert sind:

Die auf Eckpfeiler der jüdischen Kultur (und unter anderem der abendländischen Kultur) verweisenden Architekturen der evangelisch-lutherischen Heilig-Geist-Kirche Haidholzen und der katholischen Pfarrkirche Maria Königin des Friedens Haidholzen.

Die evangelisch-lutherische Heilig-Geist-Kirche Haidholzen von Franz LICHTBLAU, geweiht 1966, verweist über den quadratischen Kirchenschiff-Zentralbau mit dem klar Pyramiden-förmigen Dach figurativ-symbolisch auf das Alte Testament und die Geschichte von der Gefangenschaft und Sklavenzeit der Israeliten in Ägypten. So wird über den semantischen Knoten “Sklaverei” ein direkter Bezug zum ehemaligen KZ-Außenlager Haidholzen hergestellt. Der Kirchturm der Heilig-Geist-Kirche Haidholzen weist ebenso eine Pyramiden-Form auf, womit diese Ägypten-Sklaverei-Symbolik weiter unterstrichen wird. Darüber hinaus findet sich ein sehr ähnlicher Pyramiden-förmiger Kirchturm bei der Auferstehungskirche von Franz LICHTBLAU in Oberaudorf, dem Zielort des Vernichtungsmarsches der KZ-Häftlinge des KZ-Außenlagers Haidholzen nach dessen Auflösung 1945. Von Interesse ist hier, dass mein künstlerischer Lehrer Josef HAMBERGER das Quadrat-Dreieck-Ornament in Beton von Franz LICHTBLAU an dem Langhaus-Kirchenschiff und dem Pyramiden-Kirchenturm der Auferstehungskirche im Inntal für die jüdisch geprägte Rauchopferaltar-Säule aus Beton an der katholischen Kirche in Haidholzen übernimmt und so einen direkten Bezug zur Franz LICHTBLAU-Kirche am Brandopfer-Keltenhügel (geschütztes Bodendenkmal) in Oberaudorf herstellt. Für den literarisch Interessierten stellt sich sogleich eine Relation zu Paul CELANs Todesfuge, entstanden um 1947, und den grauenvollen NAZI-KZ-Krematorien, u.a. in Dachau und Auschwitz-Birkenau, her.

Der Architekt Carl Theodor HORN wählt in Kooperation mit dem Rosenheimer Künstler Josef HAMBERGER eine etwas andere Form der künstlerischen Symbolsprache beim Bau der katholischen Pfarrkirche Maria Königin des Friedens Haidholzen, geweiht 1970; beide verwenden Elemente des historischen israelitischen Tempels von Jerusalem ohne aber explizit auf das Element des Davidsterns – religionsgeschichtlich korrekt - zurückzugreifen. Carl Theodor HORN greift also zusammen mit Josef HAMBERGER lokale Elemente des KZ-Außenlagers auf und verwebt diese mit Basiselementen der Kultur des Judentums und des Alten Testaments. So verwendet Carl Theodor HORN sichtbare Ziegel-Quaderstrukturen, die auf die westliche Klagemauer des Tempels von Jerusalem verweisen (bis hin zum engen Zugang vor 1967 und den bekannten weißen Gebetsmänteln und Stühlen davor), für die rechteckige Basis der Hallenkirche. Die Holzwände darüber verweisen auf die in Haidholzen hölzernen KZ-Häftlingsbaracken, die oft auf einer nur wenige Steine hohen Ziegelbasis standen und in deren Mitte sich meist ein kleiner Metallofen befand, der in Form und Größe zum Vorbild für den Tabernakel aus Bronze von Josef HAMBERGER im Inneren der Kirche wurde.

Die Pultform des Daches der Kirche und die verwendeten Stahlträger im Inneren verweisen auf die Form eines Flugzeughangar und von Flugzeugtragflächen und so auf die von den aus Osteuropa deportierten KZ-Insassen getätigte Produktion von Flugzeugmotoren durch BMW und Bomberzieloptiken durch ARNOLD & RICHTER (ARRI im nahen Pulvermühle; erzwungene Umstellung vom Kamerabau auf Zieloptikenbau) in Stephanskirchen zur Zeit des Nationalsozialismus. Ebenso verweisen die Ziegel der Kirchenbasis auf den Einsatz der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bei der Firma HAMBERGER. Das große zentrale Lichtfenster des Daches der römisch-katholischen Kirche über dem sich um eine Stufe erhebenden quadratischen Altarbereich, quadratisch wie der Bereich der Bundeslade des Tempels von Jerusalem, nimmt das Zieloptikthema von NAZI-Bombern und anderen Bombenflugzeugen auf und verweist gleichzeitig über sein Licht und seine Lage auf das zentrale Lichtfenster des Pantheons in Rom und unterstreicht die tolerante Grundhaltung der Bauherren und von Carl Theodor HORN und Josef HAMBERGER. Der katholische Altar im Sinne des Vatikanum II, gefertigt aus Biber-Nagelfluh des Inntals, im Inneren der Kirche ist des Weiteren spiegelbildlich zum Rauchopfer-Altar-Betonkreuz, zusammengesetzt aus den – von einem Spalt getrennten - beiden Dreiecken des Davidstern, auf dem Kirchenvorplatz gelegen. Hier wird das Thema der beiden Säulen Jachin und Boas von SALOMON und HIRAM variiert. Die Spiegelachse bilden dabei die beiden Portici im Westen und im Osten der Kirche, symbolisch für die beiden Schaubrotaltäre des Judentums im Sinne von Emmanuel LEVINAS‘ Talmudexegese und die beiden Eingangssäulen Jachin und Boas stehend. So wiederholen sich mit dem zentralen Betonkreuz des Kirchenplatzes in einem zum Himmel strebenden Quadrat, gegründet auf einem in den Kirchplatzboden eingelassenen Betonkreuz, die beiden gleichschenkligen Dreiecke des Davidsterns und bilden gleichzeitig ein christliches Kreuz.

Die Taufnische auf der Ostseite der Kirche mit den beiden Flugzeugrumpffenstern verweist auf das jüdische Waschbecken und die große Taufkerze wird zur Anzündekerze der acht daneben angebrachten Kerzen und symbolisiert so eine Chanukkia. So geben Carl Theodor HORN und Josef HAMBERGER über das Wunder der brennenden Chanukka Kerzen dem Prinzip Hoffnung, der Ökumene und der Humanität bei jeder Taufe in der Kirche „Maria Königin des Friedens Haidholzen“ mit Blick nach Osten zur aufgehenden Sonne neuem Leben eine lebensbejahende Zukunft.

Viele weitere Gestaltungselemente lassen sich noch entdecken, unter anderem ein Bezug zum Tobel-Spalt von Babi Yar über die Spalten des katholischen Kirchhofkreuzes und der beiden Portici, aber auch in Relation der beiden Kirchen in Haidholzen zueinander, insbesondere mit Bezug auf den Tempelberg in der heiligen Stadt Jerusalem. Aus meiner Sicht sind beide Kirchen und Kirchplätze mit ihrer ausgewogenen interdependenten Symbolik durch sehr verantwortungsbewusste Architekturen und Kunstwerke geprägt und mehrdimensional sehr gut, ja im internationalen Vergleich vorbildlich, gelungen. Wir sind den ehemaligen Bauherren, Künstlern und Architekten wie ebenso Christiane G. HUBER und Gunter DEMNIG sehr dankbar.

Vgl. bitte #Stolperstein Verlegung am 11.02.2024 in Haidholzen (als weitere städtebauliche Gestaltung des öffentlichen Raumes in Stephanskirchen und in Bayern mit direktem Bezug zum KZ-Außenlager Haidholzen des Ausbund-Konzentrationslager Dachau, den NAZI-Verbrechen und der NAZI-Diktatur in Deutschland 1933 bis 1945) ); Foto von Seiten des Autors:

 

 

Mit vorzüglicher Hochachtung!
Dr. Stefan Geier, Gerhart-Hauptmann-Straße 6, 83071 Haidholzen
(Langform 1)


Gekürzte Version für das Oberbayerische Volksblatt Rosenheim OVB (1750 Zeichen; von der Redaktion gewünscht):
Gelungene sakrale Architektur in Haidholzen, Gemeinde Stephanskirchen: #WeRemember: evangelisch-lutherische Heilig-Geist-Kirche Haidholzen und katholische Pfarrkirche Maria Königin des Friedens Haidholzen
 

Anlässlich der sehr würdevollen Verlegung zweier neuer Stolpersteine in Haidholzen darf auf die sehr gelungenen Architekturen der evangelischen Heilig Geist Kirche Haidholzen (Gefangenschaft in Ägypten: Pyramidenform sowohl des Kirchenschiffes, als auch des Kirchturmes; Schaffung der Atmosphäre des Innenraums einer Synagoge im Kircheninneren) und der katholischen Pfarrkirche Maria Königin des Friedens Kirche Haidholzen (Architekturelemente: Klagemauer; Holzbaracke; Flugzeughangar; Pantheon; Babi Yar Spalt; die drei Talmud’schen Altäre des Tempels von Jerusalem mit dem Rauchopferaltar als Betonsäule mit Bezug zum Davidstern und zum christlichen Kreuz, entworfen von meinem Lehrer Josef Hamberger, in der Mitte des Kirchplatzes; Flugzeugfenster; Tabernakel als erhöhter Barackenofen; Chanukkaleuchter-Symbolik im Inneren und vieles mehr) hinweisen; beide sakrale Architekturen greifen in sehr verantwortungsbewusster und gelungener Weise die Geschichte des ehemaligen KZ-Außenlagers im Bereich des heutigen Haidholzen auf, in dem KZ-Häftlinge bzw. Zwangsarbeiter - überwiegend aus Polen, aber auch aus der Ukraine deportiert, - der Firmen BMW, ARRI und Hamberger … unter den bekannten schrecklichen Bedingungen untergebracht waren. Aus meiner Sicht sind beide Kirchen und Kirchplätze durch sehr verantwortungsbewusste Architekturen geprägt und mehrdimensional sehr gut, ja im internationalen Vergleich vorbildlich, gelungen. Weiteres findet sich auf Stefan Geier https://humanistischebetrachtungen1.blogspot.com. Wir sind den Bürgermeistern Karl Mair und Rainer Auer, Herrn Dr. Thomas Nowotny, den ehemaligen Bauherren, den Künstlern (Josef Hamberger und Gunter Demnig) und den Architekten (Franz Lichtblau und Carl Horn) sehr dankbar.

Dr. Stefan Geier, Gerhart-Hauptmann-Straße 6, 83071 Haidholzen

[Veröffentlicht im Oberbayerischen Volksblatt OVB, Nummer 28, am 27. Februar 2024 unter: ROSENHEIM LAND - 27.02.2024 Vorbildliche sakrale Architektur in Haidholzen Zum Bericht „Drei neue Stolpersteine – Zwei von Millionen“ (Titelseite/Lokalteil): ... . Seite 15 Rosenheimer Land Dienstag, 27. Februar 2024:


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